20 Jahre:  Martina und Andreas Rasch und das Haus ‚Auf dem Berg 6‘

Eigentlich müsste man über die Entwicklung und Wirksamkeit von Martina und Andreas im Umkreis ein ganzes Buch schreiben. Es würde sich auch lohnen, denn Andreas hat dies bei seiner Ansprache auf dem Fest am 2. Juni in Horstedt betont – nichts an dieser Entwicklung war eigentlich biografisch zu prognostizieren. Vieles an dieser Geschichte hat leichten bis mittleren Wunderstatus. So zum Beispiel die einfache Tatsache, dass Martina und Andreas jetzt seit 20 Jahren in dem Haus ‚Auf dem Berg‘ wohnen, als direkte Nachbarn von uns. Die Geschichte dieser 20 Jahre soll hier und heute auch im Mittelpunkt stehen. Der Ausgangspunkt dafür, dass Martina und Andreas um 2000 herum begannen ein Haus zu suchen (in Bremen!), war die Wahrnehmung, dass bei ihnen immer wieder Menschen anklopften und dann auch oft länger zu Gast blieben, die durch biografische Krisen an Lebensgrenzen angekommen waren und erst einmal nicht weiter wussten. Dass konnten Krisen durch Trennungen oder Krankheiten sein, aber bei Martina und Andreas fanden sie Annahme, Beratung und Pflege in dieser Situation. Der Begriff ‚Gästehaus‘ war dementsprechend die Leitidee für die Suche nach einem passenden Haus. Dass unser Nachbar Paul Karasch nach dem Tod seiner Mutter sein Haus, also unser Nachbarhaus, verkaufen wollte, war insofern eine wichtige Schicksalsfügung , auch wenn  die Beiden ihr Haus ja eigentlich in Bremen suchten. Für Paul Karasch war es aber wichtig aus seinem Elternhaus herauszukommen und sich ein eigenes neues Haus nebenan zu bauen und für Martina und Andreas war letztendlich mit ausschlagegebend, dass sein Haus direkt neben unserem lag und sich so ein größerer Zusammenhang ergab. Abgesehen davon, dass auch in Bremen nichts adäquates zu finden war. Für das Haus war es jedenfalls ein Glück, dass es neue Besitzer bekam, die es mit viel Arbeit aus seiner bisherigen Verpuppung befreien konnten und es mit neuem Leben erfüllen konnten. (Siehe die Bilder)

 

Die verschiedenen Etappen in den zwanzig Jahren sind jeweils Metamorphosen der Ursprungsidee. So war in der ersten Phase ab 2003 der Umbau mit vielen Helfern darauf ausgerichtet sowohl ein Zuhause für Martina und Andreas zu schaffen, wie auch eine Gästemöglichkeit. Und diese war von Anfang an genutzt. Diese Ausrichtung hat aber auch finanzielle Unterstützung für diese ‚freie‘ soziale Gebärde ermöglicht. Auch durch die Unterstützung der Turmalin-Stiftung konnte Martina in dieser Zeit einen Tag in der Woche in Horstedt sein. Dies schuf Freiraum für Beratungen jeder Art. In dieser Zeit begannen auch die regelmäßigen Forschungstreffen der DELOS Gruppe. Diese fanden wechselweise in Eichwalde und Horstedt (und auch an anderen Orten) statt. Bis zu zwanzig Menschen arbeiteten wochenweise an menschenkundlich-therapeutischen Fragen mit Wolf-Ulrich Klünker. Man müsste auch einmal durchzählen, wie viele Menschen in dieser Zeit in Horstedt Beratung und Unterstützung gefunden haben, gefühlt waren es unendlich viele.  In dieser Phase kamen sie meist von weiter her und brauchten auch Übernachtungsmöglichkeiten im Gästehaus.

In einer zweiten Phase stand die Frage eines ‚Pflegehauses‘ in unterschiedlichsten Facetten im Raum. Ausbaupläne mit Architekten für das Haus ‚Auf dem Berg‘, Pläne zur Abhaltung von Sprechstunden von Wolf-Ulrich Klünker, die Kooperation von Andreas Rasch mit Volker Fintelmann und Frau Batschko von der Carus-Akademie führte aber auch bis nach Hamburg. Auch ein therapeutisches Wohnprojekt der Turmalin-Stiftung in Lübeck war eine Zeit lang in Bewegung. In dieser Zeit entwickelte Andreas immer mehr sein Angebot einer ‚Pflegetherapeutischen Praxis‘ mit der Möglichkeit der Gesundheitsberatung und auch der praktischen manuellen Therapie durch Einreibungen. Gerade das Feld der Gesundheitsberatung bei schweren Erkrankungen zeigt sich dabei als absolute Leerstelle in unserem System. Viele Menschen finden einfach keinen kompetenten Gesprächspartner, wenn sie oder nahe Angehörige schwerer erkranken. Genau diese Tätigkeit wurde aber auch zunehmend von Nachbarn und anderen Menschen aus dem nahen Umkreis wahrgenommen und geschätzt.

Die dritte Phase (und diese Phasen sind zeitlich gar nicht so genau gegeneinander abzugrenzen) war der Ausbau des Dachgeschosses und die Entwicklung des Projektes ‚Maßstab Mensch‘ wodurch Martina ihre Intention einer freien Sozialarbeit in einer Fachstelle dort vor Ort realisieren konnte. Die vordergründige Aufgabenstellung Höfe als Lebensorte zu entwickeln und zu begleiten, erweiterte sich schnell in viele Themen der sozialen Landwirtschaft, in überregionale Beziehungen in diesem Themenfeld, aber auch in die freie soziale Beratung von Menschen, ohne konkretes eigenes Einrichtungsinteresse im Hintergrund. Stattdessen waren alle Situationen immer Unikate, die jeweils von den Beteiligten frei erfunden und realisiert werden mussten.

Das Dachgeschoss bot auch einen großen Arbeitsraum für Gruppen, der auch nötig war, denn der Arbeitsraum in unserem Haus auf dem Hunnenberg wurde jetzt von Elfi als Atelier voll genutzt. So dass im Haus ‚Auf dem Berg’ jetzt auch alle Umkreis-Treffen stattfanden (und finden). Ebenso ist dort die Geschäftsstelle von Umkreis e.V. und Umkreis gGmbH, die von Martina betreut wird. Dagegen waren die überregionalen Forschungstreffen mit der DELOS-Gruppe zu Ende gegangen, was auch damit zusammenhing, dass Wolf-Ulrich Klünker nun einen großen Teil seiner Kraft auf die Arbeit mit den Studierenden an der Alanus-Hochschule verwendete, wo er seit 2014 eine Professur innehatte.

Die aktuelle Phase ist nicht einfach zu beschreiben, weil wir uns ja noch mitten in ihrem Leben befinden. Aber auch hier zeigt die Bautätigkeit ein wenig an, worum es geht. In diesem Jahr wurde das gesamte äußere Grundstück neu gestaltet. Und gleichzeitig hat der Umkreis e.V. das Nachbargrundstück erworben, dass eine Art Ergänzung zu den beiden Grundstücken ‚Auf dem Berg‘ und unserem Grundstück bedeutet. Diese Tatsache und das Fest, das am 2. August gefeiert wurde, zeigt an, dass der Impuls von uns allen, aber insbesondere von Martina und Andreas ‚angekommen‘ ist. Beim Fest wurde das Open Air Kino schon einmal  mit großem weißen Zelt auf der ‚Umkreis-Wiese‘ aufgebaut. Ein erster Schritt in diese Zukunft…

In diesem Jahr gab es auch erstmals Fachtage mit Studierenden der Sozialarbeit der Uni Bremen hier vor Ort und im Haus. Und auch hier zeigte sich die befreiende und erlösende Wirkung eines vernünftigen Ortes. Die Studierenden waren sehr angetan von der ganz anderen Arbeitsatmosphäre! (Dort arbeitet Martina als Gastdozentin für das Thema ‚Grüne Sozialarbeit‘.) Gleichzeitig gibt es überregionale Verbindungen zur Uni Witzenhausen (Kassel) in dem Thema ‚Soziale Landwirtschaft‘, wo auch eine ‚Filiale‘ der Projektberatung von jungen Frauen aufgebaut wird. Die Verbindung mit jungen Menschen entsteht dort in den Ausbildungsplätzen, aber auch auf den Höfen, wo junge Menschen andocken können.

Die 20 Jahre sind insofern Einlösung und Erfüllung vieler Impulse und Intentionen. Auch wenn Vieles anders gekommen ist, als es mit einem gewissen idealistischen Überschuss einmal gedacht wurde. Aber die Grundlinien der ursprünglichen Ausrichtung sind deutlich erkennbar: Was braucht heute der Mensch in seinem Ringen um individuelle Lebensgestaltung? Und dies vor allem dann, wenn  diese Lebensgestaltung vor existentielle Herausforderungen gestellt ist! Ebenso gilt, bei aller Betonung des wichtigen Umkreis-Gedankens, wurde bisher erfolgreich auf jede Institutionalisierung der Arbeit zugunsten der Individualisierung verzichtet. Es gibt und gab keinen Master-Plan und kein Konzept nur einen Begriff, der die individuellen Entwicklungen im Hintergrund begleitet: Ein Ich, ohne einen Umkreis von Menschen, in dem es wahrgenommen und unterstützt wird, hat es heute schwer sich selbst zu finden und zu halten. Das Ringen um eine aktuelle geisteswissenschaftliche Menschenkunde ist das, was uns bei allen unterschiedlichen eigenen Intentionen und Arbeitsfeldern immer wieder verbunden hat und auch in Zukunft verbinden wird. In diesem Sinne bleibt es spannend, wie die nächsten Schritte sich zeigen!

Roland Wiese, 20.9.2023