Ulrike Dinter, geb. Zart
*24.06.1954 in Bremen
+20.01.2024 in Bremen
Ein Nachruf mit dem Blick auf eine langjährig gewachsene Freundschaft.
Kennengelernt habe ich Ulrike im Jahre 1993. Sie gab damals den Kurs „Von der Stimmbildung zum Chorsingen.“ Die Art und Weise, wie sie mit uns TeilnehmerInnen gearbeitet hat, ist mir unvergesslich. Sie hat mich berührt und mein Interesse am Chorsingen geweckt.
Ulrike war mit Leib und Seele Musikerin. Sie hat in Bremen Musik studiert und im Anschluss in ihrem Fach Unterricht an der Musikschule Bremen erteilt.
Es folgten Eheschließung mit Reinhard Dinter und im Laufe der Jahre brachte sie drei Söhne zur Welt.
Als ich sie kennenlernte, machte sie gerade ihre Ausbildung zur Waldorflehrerin.
Nach erfolgreichem Abschluss war sie viele Jahre als Klassenlehrerin an der Waldorfschule Touler Str. in Bremen tätig.
Einmal war ich in ihrem leeren Klassenraum und sah an der Tafel, wie sie den Kindern das Rechnen nahe brachte : Mit Worten, Zahlen und Malerei. Ich war so beglückt über das, was ich dort sah und wünschte mir, solch eine Klassenlehrerin gehabt haben zu dürfen. Dann hätte ich bestimmt besser rechnen gelernt……… Ich glaube, sie war eine gute Pädagogin.
Zu dieser Zeit machten wir über viele Jahre gemeinsam in einem Laienkurs bei Frau Vogel, später Frau Pourshirazi, Eurythmie. Ihr Sohn Lasse, ebenfalls ein wunderbarer Musiker, begleitete uns auf dem Flügel zur Toneurythmie. Ulrikes Gestalt sehe ich lebendig vor meinem inneren Auge, wenn sie Ton und Form eurythmisch in klarer Leichtigkeit und Konzentration zum Ausdruck brachte.
Dieser Eurythmie-Laienkurs war schon ein besonderer. Er war ein Kraftquell für sie und uns. Mit Ernst, Hingabe und Freude ( es wurde auch viel gelacht ) trafen wir uns jede Woche in der Waldorfschule Touler Str. in Bremen. Vor dem Kurs und im Anschluss gab es immer eine intensive, kurze Begegnung zwischen uns. Jeder hatte ein tiefes Interesse am Anderen. Wir waren, eingebunden in die Eurythmie, so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft, wussten voneinander.
Hier ergab es sich auch, dass Ulrike von den in Grasberg frei gearbeiteteten Klassenstunden hörte…und sie hatte den dringenden Wunsch hieran teilnehmen zu wollen. Und so kam es, dass Ulrike Kontakt zum „Umkreis“ aufnahm und fortan nahm sie an den Klassenstunden und dann auch an den Treffen der „Menschenkunde des Ich“ teil. Diese geistige Arbeit, wie sie es nannte, war bis zu ihrem Tode eine wesentliche und notwendige Säule in ihrem Leben.
So gründete sie am 30.September 2008 auf der Grundlage des Buches „Wer ist Johannes?“ Dimensionen der letzten Ansprache Rudolf Steiners, von Wolf Ulrich Klünker, einen Arbeitskreis im Novalis-Zweig in Bremen. Ihre Worte: „Wir wollen uns -anknüpfend an das 21. Jahrhundert-mit den lebendigen Zukunftschancen des menschlichen Ich beschäftigen. Am 26.03.2013 haben wir das Buch komplett durchgearbeitet. Zu Johannes hatte Ulrike eine ganz besondere Beziehung: Schließlich war sie an Johanni geboren. Im Anschluss begann sie mit der Textarbeit an den Mysteriendramen, die dann mangels Beteiligung nicht zu Ende gebracht werden konnte. Hier endete dann auch die offizielle Textarbeit im Novalis-Zweig in Bremen und es bildete sich ein kleiner, ganz privater Arbeitskreis auf der Grundlage des Buches „Empfindung des Schicksals“ von Wolf-Ulrich Klünker. Sie hatte besondere Erlebnisse beim Lesen der Texte von ihm. So sprach sie häufig aus innerer Gewissheit heraus von einem musikalischen Erleben bis hin zu Oktaven……
Bis zu ihrer schweren Erkrankung im Sommer 2023 trafen wir uns ganztägig im Wechsel bei ihr zu Haus, bei Ingrid Böttcher und bei mir gemeinsam mit Helga Renius und Klaus Bergmann-Bruns. Immer war es ein fruchtbares und Erkenntnis bereicherndes Miteinander.
Ihr“ leibliches“ Fehlen, ihre Initiativkraft, ihr Denken, ihre Mitmenschlichkeit erlebe ich als einen großen Verlust in unserem Kreis.
Wichtig ist es noch zu erwähnen, dass Ulrike nach ihrem Ausscheiden als Lehrerin eine Ausbildung zur Krankenhausseelsorgerin absolviert hat. Mit dieser Profession hat sie einige Jahre schwer kranke Patienten im Krankenhaus“ Links der Weser“ in Bremen begleitet. Diese Tätigkeit hat sie für sich als sehr sinnstiftend erlebt.
In diese Zeit fiel auch die Trennung von ihrem Mann. Nach der Ehescheidung fand sie eine kleine Wohnung im Steintorviertel in Bremen in der sie bis zu ihrem Tode lebte.
Sie lebte inmitten dieser „multikulturellen“ Szene und hatte Interesse an der Vielfalt der dort lebenden Menschen.
Sie war auch eine streitbare Persönlichkeit, die die ehrliche Auseinandersetzung mit Menschen und Institutionen nicht scheute. Sie war dann auf der Suche nach innerer und äußerer Klarheit für sich selbst und die Sache und ging dann auch in die Konsequenzen. Mit dieser Haltung trennte sie sich aus ihrem beruflichen Umfeld und später dann auch aus der Christengemeinschaft und auch aus menschlichen Zusammenhängen.
Später hat sie dann großes Interesse am Zeichnen entdeckt und an der VHS entsprechende Kurse belegt. Ein Kreis von „Zeichenfrauen“ ist so entstanden, die sich bis zu ihrem Tode regelmäßig getroffen und gezeichnet haben. Ich habe ihre sehr schönen, filigranen Werke aus der Natur und dem Tierreich bestaunen dürfen.
In Bezug auf ihre Erkrankung wollte Ulrike nichts unversucht lassen und so entschied sie sich, trotz ihrer Erfahrung von vor 20 Jahren als sie bereits eine andere schwere Krebserkrankung hinter sich gebracht hatte, für eine Chemotherapie. „Ich möchte doch noch die Enkelkinder aufwachsen sehen…..“
So sprach sie zu mir im Sommer vergangenen Jahres und zitierte das Gedicht von R.M. Rilke:
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.“
Ulrike und ich waren uns gegenseitig Wegbegleiterinnen. Uns verbanden neben der Anthroposophie die Literatur, die Lyrik (vor allem die Dichterinnen Hilde Domin, Rose Ausländer und Nelly Sachs), die Kunst, die Musik und das Interesse am Menschen.
Wir haben, vor dem Hintergrund ihrer Erkrankung auch die Möglichkeiten des Lebens und des Sterbens miteinander bewegt. Die Gespräche waren immer intensiv und fruchtbar für beide.
Ich bin mir sicher, dass Ulrike sich am Ende ihres Lebens dann doch bewusst und im Einklang mit sich und der Welt auf ihren letzten Weg gemacht hat.
Die Söhne haben der Traueranzeige den Satz von Hilde Domin:
„Ich setzte den Fuß in die Luft,
und sie trug“
voran gestellt.
Diese Haltung erfordert Mut, Vertrauen und die Fähigkeit zum abstrakten Willen. Jetzt, nach dem Tod von Ulrike, ist dieser Gedanke von H. Domin, die sie sehr verehrte, wie ein Vermächtnis für uns alle, die wir hier zurückbleiben.
Monika Ingenleuf-Linek
Ulrike Dinter war Mitglied im Umkreis e.V.