Martina Rasch, 22. August 2024 (Titelbild: Elfi Wiese, Fotografie: Martina Rasch)

Jeder Mensch braucht den anderen Menschen, um sich entwickeln zu können, so haben wir es im Umkreis vor gut 25 Jahren in einem unserer Leitsätze formuliert. Heute hat sich dieser zunächst noch sehr allgemeine Satz für mich mit und durch das tatsächlich gelebte Leben im Umkreis der Anderen zu einer ganz bestimmten Ich- Substanz, Ich- Erfahrung vertiefen und weiterentwickeln können. Diese Ich- Substanz macht aus, dass sie weder von mir, den anderen Menschen noch von meinem gelebten Leben zu trennen ist- im Gegenteil in ihr ist alles „aufgehoben“, als individuelle Lebenssubstanz. Mit ihr komme ich in Berührung, wenn es mir gelingt, empfindend zu erleben, dass ich es bin, die fortwährend alle Inhalte, Tätigkeiten, Geschehnisse, aber auch das eigene Vermögen und Unvermögen zu dieser Erfahrungssubstanz verarbeitet, verwandelt.

Es war so eine Art „sonnige Sternenstunde“ letzten Freitag für mich. Ich war im Gespräch mit den Kolleginnen der EntSpinnerei und Thomas van Elsen, mit denen ich nun schon seit ein paar Jahren zusammen arbeite. Uns verbindet das Thema der Sozialen Landwirtschaft. „Sonnige Sternenstunde“ deshalb, weil sich in diesem Gespräch so etwas ereignet hat, dass ein jeder zu sich, zur eigenen Willenssubstanz, wie „erwacht“ ist und wir dies miteinander teilen konnten.

Aus diesem Berührungsmoment heraus hat Franziska Halverscheid mir dann folgenden Text zu ihrer Substanzfrage zugeschickt. Durch die Inhalte hindurch, durch die ganz eigene „Bewegungsart“ und Vorgehensweise in der Berichterstattung bringt mich der Bericht von Franziska mit ihrer Ich- Substanz in Berührung …

 

Franziska Halverscheid: Ein persönlicher Bericht von der Klimatagung auf dem Dottenfelderhof aus dem Blickwinkel der Sozialen Landwirtschaft

Vom 14.-15.06.2024 fand auf dem Dottenfelderhof in Bad Vilbel eine Tagung zum Thema „Klima“ statt. Organisiert und durchgeführt von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, der „World Goetheanum Association“ und dem Dottenfelderhof.

Drei Begegnungen

Im Nachhinein weiß ich, ich kam mit einer Frage, denn am Ende hatte ich plötzlich eine Ahnung der Antwort.

Einer Frage, die sich im Vorhinein aus drei Begegnungen herausgearbeitet hatte, zwei von menschlicher und einer von literarischer Gestalt.

Die erste Begegnung fand, während eines Zoom-Gesprächs einer Projektbegleitung statt und mündete in der Aussage meines Gegenübers, wo denn das wirklich Rebellische in der heutigen Sozialen Landwirtschaft zu finden wäre. So ein paar besondere Orte wären ja ganz nett, würden aber trotzdem alle schön in unserem aktuellen System mitlaufen und sich dahingehend anpassen. Ja, da kommt einem schnell ein „…aber das stimmt doch nicht, es ist doch alles ganz anders“ über die Lippen. Oder stimmt es eben gerade doch? Mir gefiel der Aufruf an den Widerstand.

Die zweite Begegnung zielte nicht auf die Zukunft ab, sondern war eine Frage an den Umgang mit der Vergangenheit. Als ich während einer Veranstaltung mit meiner üblichen Begeisterung für das Thema warb, stand plötzlich die Frage der Aufklärungsarbeit im Raum. Was unterscheidet die heutigen Orte an denen zukunftsweisend Landwirtschaft mit Sozialer Arbeit verbunden wird, denn zum Beispiel von der früheren Kinderarbeit oder der Arbeit der ehemaligen „Dorfdeppen“? Wird da überhaupt hingeschaut und aufgearbeitet, dass das, was wir heute Soziale Landwirtschaft nennen, früher das oft leidige Standardmodell war?

Untermauert wurden die beiden ersten Begegnungen noch durch das Lesen des Buches „Bauern, Land“ von Uta Ruge. Am Beispiel ihres Heimatdorfes in Niedersachsen und ihrer Kindheit auf einem Moor-Bauernhof beschreibt sie dort landwirtschaftliche Weltzusammenhänge. Mir wurde beim Lesen immer wieder deutlich, was für eine verklärte Sicht ich gerade durch meine Erfahrungen auf Höfen der heutigen Sozialen Landwirtschaft auf die Früher-war-alles-besser-Version von der Landwirtschaft und den sozialen Zusammenhängen aus den letzten Jahrhunderten habe.

Diese drei Begegnungen mündeten nun in folgender Fragestellung:

Wo liegt die transformative Kraft der Sozialen Landwirtschaft, wenn es also scheinbar weder genug Aufklärung auf der einen Seite noch genug Rebellion und Widerstand auf der anderen gibt? Was kann das eigentlich Transformative an Sozialer Landwirtschaft sein, wenn man von unseren ja doch verherrlichenden Standardsätzen tiefer geht und sich der Frage als Frage nach der wirklichen Substanz nähert?

Das war meine unbewusste Ausgangslage, als ich freitags bei der Klimatagung ankam. Das nun ausgerechnet das Klima meiner Frage eine andere Dimension geben würde – damit hatte ich nicht gerechnet.

Ankommen

Man merkt, dass hier vieles fertig ist, die Zeit der Provisorien Vergangenheit. Der Hofladen kein Lädchen mehr, sondern ein moderner Biosupermarkt. Und genau deshalb hat der Dottenfelderhof das Potenzial, fast 200 Teilnehmenden einen Rahmen für diese Tagung zu bieten.

Der Tagungsort bedarf besonderer Beachtung: Die Saatguthalle. In Saatguthallen breitet sich in mir immer große Ehrfurcht aus vor den Kostbarkeiten, die in ihnen schlummern und von welchen so viel abhängt. So war es auch diesmal. Und natürlich war der Ort mit Bedacht gewählt, als mögliche Keimzelle für alles, was aus der Tagung entstehen könnte – wenn die Impulse auf eine Umgebung treffen in denen sie ihr Potenzial ergreifen können, wie bei Saatkörnern die sich wie alles Lebendige nur bestmöglich entfalten können, wenn sie geeignete Bedingungen dafür bekommen.

Da-Sein

Dort, wo sonst das Saatgut im Mittelpunkt steht, saßen nun wir, hörten zu und ließen Samenkörner in uns säen. Bei mir war es dieses Zitat von Oscar Niemeyer welches angefangen hat zu keimen: „Lass uns mutig sein, zu tun was wir können. Schon wenig kann genügen.“ Ja, schon wenig kann genügen! Das ist die Hoffnung, die da nun weiter in mir keimen kann, mit meinem Tun mutig in der Welt wirksam zu werden. Denn „…schon wenig kann genügen“.

Und außerdem entstand in mir das starke Bild der lebendigen Erde. Das erste Mal kam in mir ein Gefühl dafür auf, die Erde als vollkommenes, ganzes Lebewesen zu betrachten, ein lebendiger Organismus, unvollkommen und vollkommen zugleich, genau wie wir Menschen. Und auch wenn ich es schon vielfach gelesen, gehört, gedacht und gesehen habe, habe ich es durch die Zusammensetzung der Vorträge und die Sensibilisierung, mich mit der Frage „Wie geht es eigentlich unserer Erde gerade?“ zu beschäftigen, nun noch ein bisschen mehr verstanden: Die Erde ist lebendig, genauso wie ich und wir können voneinander nehmen und füreinander geben. Und gerade scheint das Geben und Nehmen sehr aus dem Gleichgewicht geraten, auch dahin wurde der Blick immer wieder gerichtet.

Zunächst einmal wurde am zweiten Tag jedoch der Fokus auf gelingende Beispiele gelegt, wie besonders Unternehmensführung in unseren stürmischen Zeiten ein Zeichen setzten kann, unter anderem am Beispiel von Sonett und Weleda. Aus gegebenem Anlass durch die Ortsgegebenheiten des Dottenfelderhofs, stand auch die Landwirtschaft im Mittelpunkt. Besonders zu keimen begonnen hat da bei mir die Aussage von Ueli Hurter (Leitung der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum), dass heute „der Landwirt zum Klimawirt“ berufen sein sollte. Und das, nach meiner Interpretation, nicht unter dem Joch des Noch-Mehr, sondern als Berufung und Schlüssel zu einer Welt, in der vieles dadurch erst wieder leichter werden könnte.

Nach intensiven Austauschmöglichkeiten, vielen kleinen und großen Begegnungen und gemeinsamen Erlebnissen stand am Ende die Frage: „Was möchte ich der Erde schenken?“

Auf die Ausgangsfrage der Tagung „Wie bilden wir eine Atmosphäre für die Erde?“ war das wohl eine der Antworten. Denn viele kleine Geschenke von vielen Menschen mit diesem Anliegen bilden eine Schicht, in der der es wieder zu Atmungsprozessen zwischen Mensch und Erde kommen kann, zu einer Atmosphäre die beiden guttut.

Weitergehen

Und so können wir Menschen an jedem Ort, an dem wir tätig sind, jederzeit etwas für die Erde tun, so wie sie jederzeit etwas für uns tut. Und die vielen Orte der Sozialen Landwirtschaft sind geradezu prädestiniert dazu, etwas tun zu können. Durch die direkte Verbindung von Sozialem und Landwirtschaft (Mensch und Erde), kann hier das Geben und Nehmen unmittelbar spürbar werden.

Das „sich um die Erde kümmern“ um ihr etwas zurückzugeben kann durch die besonderen Konstellationen täglich praktiziert werden mit dem Effekt, dass auch täglich die Wirkung meines Tuns sichtbar wird, wenn ich mich um Mensch, Tier, Pflanze und Boden kümmere.

Die vielen Orte Sozialer Landwirtschaften, die es dort draußen gibt, setzen jeden Tag heilsame Impulse, egal ob nun rebellisch oder nicht, geschichtlich aufgearbeitet oder nicht.

Und ja, meine persönliche Antwort ist mein geliebter, verherrlichender Standardsatz: Um den vielen Unwägbarkeiten, Klimaschieflagen und Notständen etwas entgegenzusetzen braucht es „…mehr Soziale Landwirtschaft!“.

Und trotzdem: An der Frage der Rebellion und der Aufarbeitung werde ich weiterarbeiten – ich lasse sie Teil meines persönlichen „Um-die-Erde-Kümmerns“ werden – denn ich habe die Vermutung, dass in der Bearbeitung der Antwort eine Weiterentwicklung der Bewegung liegen könnte.