Heute am 5. Januar ist der 3. Todestag unseres Nachbarn Robert. Gerade schneite es für einen kurzen Moment in dem grauen Regentag dicke Flocken. Und mir fiel dieses Datum ein. Nach wenigen Minuten kehrte der Regen zurück. Aus dem Anlass des Todestages noch einmal mein Text von damals und ein Bild von heute.
Roberts Hühner oder die Umkreis-Wiese
Was ist eigentlich ein ‚Peripheres Ich‘? Vor ca. einem Jahr starb unser Nachbar Robert. Mit ‚unser Nachbar‘ meine ich die Nachbarschaft zu Martina und Andreas Rasch und zu Elfi und mir. Er wohnte auf einem ziemlich großen Grundstück und wir konnten und mussten die letzten 35 Jahre zuschauen, wie das Grundstück und seine Gebäude mehr und mehr verwahrlosten. Unser Nachbar Robert hatte immer Hühner, sehr schöne und edle Hühner zum Schluss, aber die Hühner lebten draußen, ohne sicheren Stall, und so holte sie nach und nach der Fuchs. Kurz nachdem der Fuchs auch das letzte Huhn geholt hatte, starb Robert. Am Tag, als er starb schneite es. Es war der 5/6. Januar 2021.
Inzwischen hat der Umkreis e.V. das riesige Grundstück von der Erbengemeinschaft erworben. Der Prozess von der Beerdigung bis zum Kauf und zur Übergabe des Grundstücks dauerte genau 1 Jahr und war für alle Beteiligten ein wichtiges Geschehen in der Verarbeitung und Weiterentwicklung der jeweiligen Beziehungen zu Robert.
Mir war schnell klar, dass es unsere Aufgabe war, das Grundstück zu erwerben, und zwar nicht für uns privat, sondern mit dem Umkreis e.V. Der Gedanke hatte für mich eine gewisse Objektivität, im Sinne von, das muss man jetzt tun. Man kann das sicherlich auch erklären und begründen, aber der Gedanke war schon pur, ohne zusätzliche Begründung überzeugend. Interessant war, dass auch Elfi, Martina und Andreas ähnliche Intentionen hatten. Alle waren wir uns schnell einig, dass es äußerst schlüssig wäre, es mit dem Verein zu kaufen. Gleichzeitig waren wir uns auch einig, dass wir keine inhaltliche Vorstellungen hatten, was wir mit dem Grundstück anfangen sollten. Es waren also zwei Dinge relativ schnell klar, wir versuchen das Grundstück als Ganzes zu kaufen und wollen es auch als Ganzes erhalten, aber wir werden erst im Laufe des Prozesses entwickeln, was aus diesem Grundstück werden will. Ein völlig freier Schritt.
Finanziell war es möglich diesen Kauf zu wagen, weil der Umkreis e.V. in Zeven zwei Immobilien hat, die zum großen Teil schon abbezahlt waren und unsere Bank uns signalisierte, dass sie uns einen entsprechenden Kredit geben würde. Da gleichzeitig eine Umschuldung unserer Kredite für die Immobilie auf dem Quabben anstand, konnten wir von der niedrigen aktuellen Zinslage profitieren und haben unsere Belastung sogar verringert, obwohl wir das Grundstück erworben haben.
Gleichzeitig hat die GESO, die Mieterin der Tagesstätte Quab, Erweiterungspläne für das Haus, und wir prüften, ob es Sinn macht, wenn die GESO auf dem Umkreis Grundstück baut, oder ob es nicht mehr Sinn machen würde, wenn die GESO die Immobilie ganz erwerben würde. Zur Geschichte des ‚Quab‘ gehört, dass dieser Bau einmal auch eine Art Heimat für Umkreis-Veranstaltungen war. Wir haben dort viele Seminare und Veranstaltungen zu Weihnachten und Ostern durchführen können. In den letzten zehn Jahren war dies aber gar nicht mehr aktuell. Wir fassten in der GESO Gesellschafter Versammlung und im Umkreis-Vorstand den Beschluss des Kaufes/Verkaufs der Immobilie. Einen gewissen Hintergrund für dieses Entschluss bildete auch die Tatsache, dass ich mich immer mehr aus der GESO zurückziehe und nächstes Jahr dort ganz ausscheide. Damit wäre auch der letzte menschliche und sachliche Zusammenhang aufgelöst. Durch den Verkauf wäre der Umkreis dann mit Mitteln ausgestattet, mit denen einerseits die vorhandenen Kredite abgelöst werden können, mit denen gleichzeitig zukünftige Intentionen realisiert werden könnten.
Bisher war der Umkreis e.V. noch ohne eigenen Ort. Alle Entwicklungen finden an den Orten der Menschen statt, die etwas unternehmen. Der Sitz des Vereins ist oben in unserem Büro Zum Hunnenberg, also im privaten Wohnhaus der Familie Wiese (was dadurch auch nicht nur privat ist!), ‚Maßstab Mensch‘ und die gesamte Verwaltung und der Seminarraum befinden sich im Dachgeschoß des Hauses von Fam. Rasch. Der Kindergarten ist an das Haus von Gabi und Jörg Gonzc angebaut, der Eickedorfer Hof ist wiederum ein Ort an dem soziale Arbeit stattfindet. Die ‚Umkreis-Wiese‘ wäre also der erste Ort, der nur dem Umkreis selbst zu eigen ist. Es wäre eine erste ganz eigene Verortung. Wofür braucht der Umkreis eine solche Verortung? Jedes Mal, wenn wir in der Vergangenheit einen Ort für die Aktivitäten des Umkreis e.V. neu geschaffen hatten, sei es das Dachgeschoss bei uns, sei es das Quab, oder auch das Dachgeschoss bei Raschs, dachten wir, dass es eigentlich den Raum doch gar nicht braucht, und jedes Mal, war innerhalb kürzester Zeit der Raum gefüllt, so dass man immer hin und her räumen musste, wenn eine Veranstaltung für den Umkreis stattfinden sollte. Insofern ist es spannend, ob sich dieser Prozess mit dem neuen Ort fortsetzen wird und wenn, wie er aussehen wird.
Tatsache ist aber auch, dass die spezifischen Intentionen der einzelnen Individualitäten sich inzwischen entwickeln und ausprägen konnten und ihren Ort gefunden haben. Ein neuer Ort hätte also die Frage nach einer gewissen Steigerung der individuellen Intentionen als Inhalt. Die ‚Entwicklungsorte im Umkreis‘ bekämen eine neue Art eines Ortes dazu. Erste Erfahrungen, was ein solcher Ort für den Umkreis sein kann, konnte man schon im Verlauf des bisherigen Prozesses machen. So fragen sich viele Menschen in unserem Dorf, was eigentlich dieser Umkreis ist, der dieses markante Grundstück erworben hat und man will natürlich wissen, was haben die damit vor. Es ist für viele Menschen vollkommen unverständlich, dass wir nicht daran interessiert sind möglichst schnell alles mit Häusern zu bebauen, oder mit einer Einrichtung, ja dass wir gar nicht wissen was wir dort wollen. Tatsache ist auch, dass wir mit der ‚Erlösung‘ des Ortes durch den gerade erfolgten Abriss und das Freilegen des Grundstückes etwas geleistet haben, was von allen wahrgenommen werden kann. Vielleicht können wir auch mit unseren nächsten Schritten etwas zu einer anderen Art der Dorfentwicklung beitragen. Der Ort befindet sich nicht umsonst zwischen Kirche, alter Schule und Friedhof und unseren Häusern.
In den letzten beiden Wochen haben wir den intensiven Prozess des Abriss des Hauses und der Aufräumarbeiten auf dem Grundstück erlebt. Es war sehr lehrreich zu erleben, dass das, was man für wirklich hält, manchmal gar nicht mehr wirklich ist. So hatte ich nach dem Abriss des Hauses das deutliche Gefühl, dass das Haus eigentlich gar keine Wirklichkeit mehr hatte, obwohl es noch physisch da stand. Das Abräumen schaffte erst wieder eine Wirklichkeit in der Gegenwart. Man könnte sagen es war überfällig und überreif und gleichzeitig war es jetzt der richtige Zeitpunkt. Man kann beinahe das Gefühl haben, es musste auf unsere Entwicklung warten, bis wir bestimmte innere und äußere Bewegungen gemacht hatten.
Das Auflösen des Nicht-Mehr-Wirklichen ist aber auch für unseren verstorbenen Nachbarn wichtig. Denn damit löst sich auch das Bild auf, dass er hier leben musste und dass ihn einschränkte. Und damit wird mehr erlebbar, was eigentlich intentional in ihm lebte, sich aber nicht verwirklichen konnte. Das zeigte und zeigt sich deutlich in dem Stimmungs- und Witterungsgeschehen der letzten Wochen. Es zeigt sich auch in einer gewissen Stimmigkeit und Dynamik des ganzen zeitlichen Geschehens. Und es zeigt sich in der zukunftszugewandten Offenheit der ganzen Sache. Wir werden sehen, wie weit wir im Mai bis zu unsere Mitgliederversammlung gekommen sind!