Eine Ergänzung zu Monika Ingenleuf-Lineks ‚Nachruf‘ zu Ulrike Dinter von Roland Wiese

 

Ulrike Dinter und ich hatten und haben eine Beziehung in der Anthroposophie. Und die Beziehung in der Anthroposophie war in den Jahren 2008 folgende keine einfache. Denn die Verhältnisse waren damals für uns sehr schwer nur zu durchschauen. Im Rückblick kann man aber heute sagen: In der Zeit 2000-2014 vollzog sich eine Begegnung der Anthroposophie des 20. Jahrhundert mit der Anthroposophie des 21. Jahrhunderts. Diese Begegnung begann mit der Arbeit an den Mantren und Klassenstunden der Freien Hochschule in Hamburg (Gottfried Stockmar und Wolf-Ulrich Klünker). Sie setzte sich fort in den Seminaren der DELOS-Forschungsstelle in Eichwalde und später auch in der Arbeit in der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist auch die Gründung einer Arbeitsgruppe (auf sachlichem Felde) im ‚Umkreis‘ in Horstedt zu sehen (2003). Die Begegnung zweier Formen von Anthroposophie wurde  damals nicht wirklich bemerkt, man dachte vielmehr an eine lineare Fortsetzung, und bemerkte nicht den notwendigen Unterschied. Gleichzeitig war aber deutlicher Widerstand innerlich und auch explizit gegen die neue Form der Anthroposophie spürbar. Dieser wirkte hemmend und hindernd auf die Möglichkeiten der neuen Anthroposophie. Dieses Nicht-Bemerken und der Widerstand führten auch dazu, dass die Arbeitsformen ungeheuer kompliziert waren und wurden. Eine Integration, die wir insbesondere in der Hochschularbeit versuchten, war ungeheuer schwierig, weil die äußeren Vergangenheits-Formen lähmend auf jede neue Bewegung wirkten. Von 2008-2013  war ich selbst Vertreter des Arbeitszentrums Nord und stand somit mitten in den ‚Kämpfen‘ jener Zeit. Es war ein eindrückliches Erlebnis, die Wirkung der alten Formen durch deren Repräsentanten am eigenen Leibe zu erleben. Und auch Ulrike Dinter, die ein Gespür hatte für die neue Anthroposophie des 21. Jahrhunderts, was man daran sieht, welche Inhalte sie arbeiten wollte, musste sich in dieser Situation zurechtfinden. Sie hat sich damals oft mit mir darüber ausgetauscht, was sie denn tun könne, um mit anderen Menschen zusammenarbeiten zu können. Und sie hat ganz aus eigener Initiative heraus immer wieder Versuche unternommen, solche Arbeitsformen zu bilden. Innerhalb der alten Zweigstruktur und später, als dies immer schwieriger wurde, auch ganz frei. Solche Menschen gab und gibt es nur ganz wenige. Viele der Menschen, die sich zu der gegenwärtigen Anthroposophie hingezogen fühlen, bleiben Einzelgänger. Dies mag eine Folge der doppelten Erscheinungsform sein. Der ‚Umkreis‘ war und ist insofern einer der wenigen Orte, (neben der DELOS-Forschungsstelle) an denen eine mehr gemeinsame Arbeit und ein gemeinsames Bewusstsein für diese Situation existieren. Man kann sich ausmalen, wie schwierig es für den einzelnen Menschen sein muss, mit einer solche inneren Empfindung in den vorhandenen Strukturen wie Gesellschaft, Waldorfschule, Christengemeinschaft usw. sich zu bewegen. Ulrike Dinter hat dies intensiv versucht. Im Ergebnis ist dies erst einmal als gescheitert zu anzusehen. Und es hat zu einem Rückzug von Ulrike Dinter aus diesen Strukturen geführt (so wie bei vielen Menschen, die ähnlich empfinden). Diese zeitgeschichtliche und geistige Gesamtlage ist wichtig, um Ulrike Dinter in  ihren Bewegungen wirklich sehen zu können. Im ‚Umkreis‘ ist sie aber weiterhin präsent und kann dort anwesend sein.

 

Roland Wiese 10.4.2024

 

P.S. Die hier geschilderte zeitgeschichtliche Situation der Anthroposophie und unsere Beziehung zu ihr, erklärt auch unsere (Umkreis e.V.) komplizierte Lage in der Außendarstellung. Denn wir wollen ja nicht verwechselt werden mit Formen von  Anthroposophie, mit den wir nichts gemein haben. Die regressive Entwicklung der Anthroposophie wirkt natürlich auch in die Reputation der Anthroposophie in der Gesellschaft hinein. Inzwischen wirkt sich dies auch bis in die sogenannten Lebensfelder aus. Man kann die Angriffe auf die Anthroposophie natürlich auch als Angriffe auf eine Wissenschaft vom Geist verstehen. Man kann aber auch denken, dass sie sich gegen veraltete Formen dieser Wissenschaft richtet.